aus unserer Schatzkiste

Ich habe ein Bild

Ich habe ein Bild, von einer Frau. Ein Bild, wie es wohl tausende gibt.

 

Manche Fakten aus ihrem Leben und Schicksal kennen wir. Es war ein ungemein hartes Schicksal, das uns schaudern lässt. Magdalena, so hieß sie, wurde 1885 als 3. Kind in eine Bauernfamilie geboren. Beim 7. Kind starb die Mutter, auch das Kind. Immerhin, fünf der Kinder überlebten. Der Vater heiratete nach angemessener Zeit wieder. Es kamen sieben Halbgeschwister hinzu, nur vier davon überlebten. Die Kinder wuchsen heran. Die Eltern starben innerhalb eines Jahres, dann auch noch zwei weitere Geschwister. Der 1. Weltkrieg kam. Die beiden Brüder rückten ein. Magdalena, die älteste der Töchter, führte inzwischen die Wirtschaft. Beide Brüder fielen im Krieg. Magdalena heiratete einen Bauernburschen und übernahm nach dem Krieg offiziell den Hof. Magdalena starb mit ihrem 8. Kind, 42-jährig. 

 

Auf meinem Bild trägt Magdalena ein schwarzseidenes Kopftuch. Sie trug es an Sonn- und Feiertagen, und für‘s Foto. Wir haben auch eine Aufnahme mit den Schwestern von diesem Tag um 1915, aber nur Magdalena trägt das Kopftuch. Trägt sie es, weil sie die Älteste ist? Weil sie die Wirtschafterin ist? Weil sie schon verlobt ist (sie trägt noch nicht den Ehering)? 

 

Ihr Kleid zum Kopftuch entspricht ganz der Mode. Es könnte schwarz sein, auf jeden Fall ist es sehr dunkel. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die bunten Farben des Biedermeiers vom noblen Schwarz des Bürgertums verdrängt. An dieses bürgerliche Ideal nähern sich auch die Kleider zum Kopftuch schnell an. Längst waren auch die Goldhauben nicht mehr modern, sie galten schon seit 1860 – 1890 als altmodisch, im Gegensatz zum Kopftuch, das nun ganz im Trend lag. Es ist auch nicht mehr das typische Linzer Kleid, das zur Goldhaube und anfangs noch zum Kopftuch getragen wurde, auch nicht der Leiblkittl mit Schürze: auch das Kleid geht mit der Zeit. Das Oberteil hat modische Verzierungen an den Kanten. Ein Breiter Gürtel umfasst die Taille. Die Schürze ist nur noch angedeutet, auch der Rock hat eine modische Applikation. Weder die Schuhe und Strümpfe, noch den Unterkittel können wir erkennen. Wir wissen also nicht, ob es sich um um ein buntes Darunter gehandelt hat, das bei Regen gerne hergezeigt wurde, indem man das Kleid als Regenschutz hoch nahm und über das Kopftuch zog. Beim Schmuck sind die Brosche und die Uhrkette auffällig. 

 

Das Kopftuch hat Magdalena wahrscheinlich selbst gebunden, wie die meisten Kopftuchfrauen. Es ist nach der Art der Bauerntöchter gebunden und hat eine sehr kleine Haube (der Teil, der am Kopf anliegt), man sieht sie kaum von vorne, ganz nach dem Motto: je kleiner, desto schöner“. Die Flügel (die Zipfel des Tuches, seitlich sichtbar) sind „flott“ aufgerichtet und abgerundet, nicht hängend oder abfallend wie bei den alten Frauen (auch davon habe ich ein Foto, von meiner Ur-Ur-Großmutter). Sie wird es vielleicht gestärkt haben, vielleicht mit saurer Milch, mit Bier oder mit Zuckerwasser, um ihm diese Form geben zu können. Wie sie es festgemacht haben wird? Mit einem Kamm wäre eine Möglichkeit. Oder auf einem Haarnetz, mit Nadeln. Unvorstellbar, dass sie es mit rostfreien „Spennadeln“ durch die Kopfhaut „angenadelt“ hätte, wie es auch üblich war. Oder doch, bei diesem Schicksal... es musste ja auch beim Tanzen fest sitzen, schließlich wurde es erst und nur zu Hause abgelegt, wo es durch ein Alltagskopftuch ersetzt wurde.

 

Ich habe ein Bild, von einer Frau. Die Frau war meine Urgroßmutter. Haben auch Sie so ein Bild?